Page 5 - Oltner Woche - KW 46 - 2020
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DIENSTAG, 10. NOVEMBER 2020                                                                                                                                  SEITE 5





                    Durch die Rebberge streifen                                                                KOLUMNE


                                                                                                               von Johannes Jenny
          Durch die Reben wandern,
          einen Winzer besuchen oder
          im Rebberg übernachten? Die
          Schweiz bietet neben quali-
          tativ hochstehenden Weinen
          auch eine enorme Vielfalt an
          Erlebnissen.


          Die Vielfalt der Sprachen, Land-
          schaften und Bräuche verleiht
          unserem kleinen Land im Her-
          zen Europas seinen ganz beson-
          deren Charme. Ebenso komplex                                                                             Milliardenschwindel?
          und einzigartig bietet sich die
          Schweiz als Weinland dar. Hier
          ein paar Tipps für eine herbstli-                                                                    «Unsterblichkeit widerspricht  ten? 2019 durchbrachen sie die
          che Wanderung durch die Reb-                                                                         dem Dasein» steht derzeit über  90 Milliardengrenze – ein Schwin-
          berge.                                                                                               einer Tür in der Villa Langmatt in  del? Fast alle wollen wir die maxi-
                                                                                                               Baden. Meine Lily und ich be-   male, medizinisch mögliche Rest-
            Wandern und Schlemmern                                                                   Bild: pixabay  suchen immer wieder das herr-  laufzeit erreichen. Dafür nehmen
                    im Wallis              Sinneswanderungen durch die Weinberge sind ein genussvolles Erlebnis.  schaftliche, lauschige und der-  wir in Coronazeiten einen Verlust
          Zur «Bisse de Clavau» ober-                                                                          zeit renovationsbedürftige Anwe-  der Volkswirtschaft in dreistelliger
          halb von Sion führt ein steiler  aus ihrem Erfahrungsschatz als  und sie werden in die Weinzu-       sen aus den Anfängen von Ba-    Milliardenhöhe in Kauf. Die Kos-
          Weg, quer durch die Rebhalden  Winzerin. Zur Degustation ser-     bereitung eingeführt. Schliess-    dens industriellem Aufschwung.  ten des Neubaus des Kantons-
          und an Weinkellern vorbei. Die  viert sie den Frauen sechs aus-   lich rundet eine Degustation       Das Museum wurde einst von  spitals Baden betragen dagegen
          Strapazen des Aufstiegs lohnen  gewählte Tropfen aus dem eige-    der besten Tropfen die Wein-       der Familie Brown bewohnt, also  «nur»  eine  halbe  Milliarde.  Ge-
          sich. Oben eröffnet sich den Be-  nen Sortiment sowie regionale  tour sensorisch ab.                 dem ersten «B» von BBC (Brown  genüber dem Corona Schaden
          suchern eine fantastische Aus-   Spezialitäten.                                                      Boveri & Cie., später ABB). «Un-  der Schweizer Spitäler (mit etwas
          sicht aufs Rhonetal und seine                                      In bicicletta auf den Spuren      sterblichkeit widerspricht dem  Glück bloss 2,6 Milliarden), sind
          Berge. Ausserdem gibt es auf der          Weintour in                 des Merlots in Locarno         Dasein» ist eine von 38 subti-  die Baukosten fast bescheiden.
          fünf Kilometer langen Gourmet-       der Büdner Herrschaft        Bevor die Velotour losgeht, er-    len Textinterventionen der Bade-  Die FDP bereitet derzeit eine En-
          Tour  vorzügliche  Raststätten.  Auf der Halbtagestour durch  halten die Gäste beim Bahnhof          ner Künstlerin Sandra Senn. Als  kelstrategie vor. Ziel ist, dass die
          Unterwegs erwartet die Wande-    die Bündner Herrschaft, das  Locarno ein Frühstück. Von da          die Villa Langmatt vor etwas über  Menschen in zwei Generationen
          rer ein Drei-Gang-Menü nach  Rheintal  und  das  Fürstentum  fahren sie zum Weingut «Ter-            100 Jahren gebaut wurde, leb-   sich möglichst ebenso gut entfal-
          Wahl und sechs leichte Wander-   Liechtenstein führt ein Kenner  reni alla Maggia» und zu «Chiodi    ten in der Schweiz gut 3 Millio-  ten können wie wir – also leben,
          weine zum Degustieren.           die Gäste in die oenologischen  Vini» in Ascona, später weiter      nen, weltweit rund 1,6 Milliarden  atmen, essen, arbeiten, sich er-
                                           Geheimnisse der Gegend ein.  zur «Cantina Delea» in Losone.         Menschen. und der Lebensstan-   holen können und ausreichend
             Ladies Night im Aargau        Sie erfahren unterwegs viel In-  In jedem Weinkeller erwartet       dard der Bewohner dieser Villa  Ressourcen dafür zur Verfügung
          Auf dem Spaziergang durch die  teressantes  über  den  regiona-   die Radler eine Wein-Degusta-      war eine absolute Ausnahme. Vor  stehen. Um dies zu erreichen,
          Villiger Rebberge im Jurapark  len Weinbau und hören histo-       tion sowie typische kalte Tessi-   knapp 20 Jahren löste ich mit ei-  schlage ich vor, über den Ein-
          Aargau berichtet Judith Schöd-   rische Anekdoten. Der «Com-      ner-Teller. Bevor sie ihre Velos   nem kolumnenartigen Commu-      gang des neuen Kantonsspitals
          ler über die Geschichte der hie-  pleter» zum Beispiel fand im  in Locarno zurückgeben, gibt es      niqué ein Rauschen im schwei-   und überhaupt aller Spitäler Frau
          sigen Traubensaat. Die Gast-     Jahr 1321 in Malans erstmals  eine hausgemachte Glacé.              zerischen Blätterwald aus. An-  Senns Erkenntnis in grossen Let-
          geberin lässt ihre Besucherin-   Erwähnung. Beim Besuch der                                pd/CR     stoss erregte meine Empfehlung  tern zu schreiben: «Unsterblich-
          nen den hofeigenen Weinkeller  Weingärten lernen die Gäste                                           an  alle,  spät  und  wenig  Kin-  keit widerspricht dem Dasein».
          erforschen und schöpft dabei  das Winzerhandwerk kennen              www.myswitzerland.com           der zu haben. Es hagelte gehar-  Sollte Petrus auch freisinnig sein,
                                                                                                               nischte Kritik und mir wurde das  wird er Gnade walten lassen und
                                                                                                               «Pfui» der Schweizer Illustrierten,  in  der  Gegenrichtung  am  Him-
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                                                                                                               tus hat sich mittlerweile zu einer  märkten nur noch so viele Kin-
                                                                                                               grossen stachligen Kugel entwi-  der an die Störche verteilen, wie
                                                                                                               ckelt.  Die  Weltbevölkerung  hat  müde Seelen ankommen. Das
                                                                                                               sich ebenfalls entwickelt: Allein in  wäre super für die Gesundheit
                                                                                                               den letzten 20 Jahren ist sie mit  der Menschheit, für die Gesund-
                                                                                                               1,6 Milliarden auf schwindeler-  heit der Erde und ein paar Pflan-
                                                                                                               regende 7,8 Milliarden gewach-  zen- und Tierarten mehr würden
                                                                                                               sen. Allein der Zuwachs ist da-  dann auch überleben.
                                                                                                               mit gleich gross, wie die Welt-
                                                                                                               bevölkerung zur Zeit der Grün-  PS: Man machte mich darauf
                                                                                                               dung der BBC insgesamt zählte.  aufmerksam, dass ja wohl auch
                                                                                                               In der Villa Langmatt lebten einst  müde Seelen zum Teufel gehen,
                                                                                                               eine fünfköpfige Familie und et-  die dann nicht einkalkuliert wä-
                                                                                                               liche Bedienstete, die Arbeiter  ren: Wer weiss, wie lange es
                                                                                                               von BBC dagegen hausten in be-  ginge, bis wir wieder bei Jenny
                                                                                                               engten Verhältnissen. Heute ist  Browns 1,6 Milliarden  wären?
                                                                                                               der Anspruch auf Wohnraum pro  Schaden würde es nicht.
                                                                                                               Kopf in der Schweiz so gross wie
                                                                                                               damals derjenige der begüter-    ZUR PERSON: Johannes Jenny ist
                                                                                                               ten Familie Brown. Jenny Brown-  promovierter Biologe, lebt in Ba-
                                                                                                               Sulzer starb 1968, kurz vor ihrem   den, war 24 Jahre lang Geschäfts-
                                                                                                               98sten Geburtstag. Sie lag damit   führer von Pro Natura Aargau und
                                                                                                               im Trend: Die durchschnittliche   sucht derzeit lumpige 10 Millionen
                                                                                                                                                                   2
                                                                                                               Lebenserwartung von Frauen in    für den Kauf von 92 km  Urwald (2
                                                                                                                                                ½ mal die Fläche des Kantons Ba-
                                                                                                               der Schweiz stieg seit 1900 von   sel Stadt) in Argentinien zur Rück-
                                                                                                               49 auf 85. An einer Baustellen-  gabe an die indigene Bevölkerung.
                                                                                                               führung beim Kantonsspital Ba-   Der Atlantikurwald ist unwieder-
                                                                                                               den erfuhr ich, dass die Hälfte   bringlich, ein riesiger CO2 Speicher
                                                                                                               der heute geborenen Mädchen      und sein unglaublicher Artenreich-
                                                                                                                                                tum – inklusive Medizinalpflanzen
                                                                                                               voraussichtlich über 100 Jahre   – sollte unseren Enkeln unbedingt
                                                                                                               alt werden wird. Wenn sie 50     erhalten bleiben. Die Verhinderung
                                                                                                               Jahre alt sind, wird die Bevölke-  der Zerstörung dieses Schatzes ist
                                                                                                               rung der Welt voraussichtlich die   von unschätzbarem Wert für die
                                                                                                               10 Milliarden, die der Schweiz die   ganze Menschheit und derzeit für
                                                                                                                                                einen Promillebruchteil der Coro-
                                                                                                               10  Millionengrenze  überschrei-  naverluste zu haben… .
                                                                                                               ten. Wieviel betragen dann wohl   johannes.jenny@bluewin.ch
                                                                                                               die Schweizer Gesundheitskos-
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